Bedürfnis – Idee – Pitch – und dann die Million?
Die Schweizer Wirtschaft darf sich auf die Innovationen der Berufsschüler*innen am GBS St.Gallen freuen. Solarpanel sind künftig im Monatsabo bezahlbar, Senioren*innen werden im Smartphone-Umgang geschult und der Garagist kann seinen Serviceplatz künftig den Hobbymechanikern*innen zur Verfügung stellen. Unternehmerisches Denken und Handeln (UDH) wird bei zwei Informatikschulklassen im Allgemeinbildenden Unterricht bei Dario Bühlmann (Technische Berufe) mit viel Lust an den Tag gelegt.
Wer kennt den FC Rebstein? Sobald die App für Regionalfussball von Cem und Fabrice auf dem Markt ist, wird sich nicht nur der Bekanntheitsgrad des Rheintaler Vereins erhöhen. Die App führt alle relevanten Nachrichten über das bevorzugte Fussballteam zusammen, ohne dass mehrere Klicks auf der Seite des Ostschweizerischen Fussballverbands, den regionalen Nachrichtenportalen oder den Vereinswebseiten nötig sind.
Die Geschäftsidee hielt auch vor der Jury stand und wurde mit einem Podestplatz belohnt. Der vierminütige Pitch fand im Rahmen des Lernprogramms myidea.ch zum Aufbau unternehmerischer Kompetenzen für Lernende an Berufsfachschulen statt. Die angehenden Informatiker*innen arbeiteten über mehrere Wochen hinweg in Teams an ihrem Produkt. Das Wissen dazu wurde ihnen während sechs Modulen vermittelt, darunter die Module Präsentationstechniken sowie Marketing und Finanzen für Gründer*innen. Das Fazit von Cem: «Für uns war dieser Pitch ein erster Test, wie unser VA-Thema ankommt. Die Jury hat uns mit normalen Fragen durchlöchert. Jetzt wissen wir, was wir noch abklären müssen.» Zum Beispiel das Marktpotential.
Die VA-Geschäftsideen
- 1. Platz: Solarpanel as a Service: Die monatlichen Abo-Kosten für ein Solarpanel betragen bei einem 10 Kilowatt Stundenpeak 78 Franken.
- 2. Platz: App für Regionalfussball: Spielplan, Resultate und News deines Teams und deren Gegner kompakt in einer App.
- 3. Platz: Auto-Serviceplätze: Serviceplätze, um selbst Servicearbeiten und Reparaturen am eigenen Fahrzeug durchzuführen.
- Parkplatzsuche vereinfacht: Die Kundschaft erhält Informationen zu verfügbaren Parkplatzstandorten, inklusive eines Preisvergleichs.
- Digitale Agentur: Agentur, die Unternehmen auf dem Weg zur Digitalisierung als «Single Point of Contact» begleitet.
- KMU-Marketing: Brockenhäuser oder Restaurants können auf das Marketingwissen dieser Firma zählen.
Die hartnäckigen Fragen der Jury
- Bremst ihr euch nicht selber, wenn ihr nur den lokalen Markt berücksichtigt?
- Habt ihr Marktanalysen gemacht und werden die ökologischen Aspekte berücksichtigt?
- Welche Marketingmassnahmen sind künftig vorgesehen?
- Sind die Teile für eure Idee momentan lieferbar?
- Ist eure Statistik von einer seriösen Quelle?
- Was ist der einzigartige Vorteil eurer Geschäftsidee?
- Wie messt ihr euren Erfolg?
- Braucht ihr keine Angestellten?
Hochkarätige Jury
In der Jury gaben nebst Michael Bossart (Prorektor GBS St.Gallen) und Dario Bühlmann drei Start-up-Gründer ihre Bewertungen und Ratschläge ab. Einer davon ist Sandro Haag. Er ging einst am GBS St.Gallen in die Berufsschule und gründete vor wenigen Jahren seine eigene digitale Marketingagentur YEP und startet zurzeit mit livom.ch durch. Über den ersten Platz von «Solarpanel as a Service» sagt Sandro Haag: «Das Mietmodell ist ein sehr spannendes Thema und aufgrund der hohen Investitionen in nachhaltige Solarpanels sinnvoll.» Ausserdem sei die Geschäftsidee extrem skalierbar, das heisst, die Expansions-Chancen sind gut.
Die Pitches der Geschäftsideen ohne VA-Bezug beurteilten unter anderem Patrick Binder (Gründer von AK Sport Management) und Ex-GBSler Sandro Breu (Gründer von WE.TRST). Die Jury zeigtes ich von der Schlagfertigkeit und dem Selbstverständnis, wie die Schüler*innen präsentierten, beeindruckt. Den ersten Platz erhielten Tiffany, Philipp, Jan und Sascha. Sie coachen Altersheime und deren Bewohner*innen in Bezug auf die modernen, digitalen Kommunikationsmittel. «Diese Gruppe hat sich sehr viele Gedanken gemacht. Der IT-Support für Senioren*innen hat eine klar herausgearbeitete Zielgruppe», so Sandro Breu, der die Weiterbildung zum Interactive Media Designer an der Schule für Gestaltung St.Gallen erfolgreich abschloss.
Die Bewertungskriterien der Jury
- Präsentation (spannend, verständlich und Auftritt als Team)
- Alleinstellungsmerkmal (Das Angebot ist einzigartig und hebt sich ab)
- Innovationsgrad (z.B. neue Technologie, neues Design oder neue Art der Organisation)
- Umsetzbarkeit (ist realistisch und finanzierbar)
- Mehrwert für Kundschaft
- Soziale/ökologische Aspekte
Wie sich die Teams zusammensetzen, haben die Schüler*innen selber bestimmt. «Wir wissen bereits von anderen Gruppenarbeiten, mit wem wir am besten harmonieren», erklärt Noé. Eine strikte Aufteilung der Aufgaben habe es nicht gegeben. Alle durften ihren Input äussern und das Beste davon wurde dann für die App verwendet. «Es war spannend, eine App zu entwickeln, die die Suche nach Nachhilfelehrer*innen vereinfacht – und dafür eine Rückmeldung zu erhalten», so Noé nach der Preisverleihung für den 2. Platz bei den Geschäftsideen ohne VA-Bezug.
Bedürfnis erkennen und…
Wer übrigens denkt, ein Start-up möchte um jeden Preis in unbekannte Sphären vordringen, der soll bei Pascal und Noah gut hinhören. Ihre digitale Agentur startet bewusst «nur» in der Region. Sie erklären: «Wir wollen zuerst unsere eigenen Prozesse optimieren und Standards aufbauen. Lieber von einer sauberen Basis aus agieren, als schnell wachsen und ständig Fehler beheben.» Ausserdem haben die beiden bereits einkalkuliert, dass der Militärdienst die Firmengründung etwas bremst.
Dass der Weg mit Stolpersteinen gepflastert ist, haben die Schüler*innen ebenfalls bemerkt. Fabienne und Elena wollten sich zu Beginn ihrer VA auf einen Online-Shop für Schweizer Brockenhäuser konzentrieren. Die Idee wurde dann angepasst, «weil Brockenhäuser gar keine Inventarliste führen, mit Hilfe derer wir die Artikel online vergleichen könnten», erklärte Fabienne. Nun wollen sie die Brockenhäuser im Marketing unterstützten. Das Bedürfnis dafür wurde nach dem Interview mit dem Brockenhaus St.Gallen klar erkannt – und das ist der erste, wichtige Schritt, um sich später mit der Geschäftsidee erfolgreich am Markt zu positionieren.
Das Projekt UDH kurz erklärt
Das Pilotprojekt «Unternehmerisches Denken und Handeln an Berufsfachschulen der Schweiz» (UDH) setzt sich dafür ein, dass alle Berufslernenden die Chance haben, sich unternehmerische Kompetenzen anzueignen. Ziel des Pilotprojektes ist die systematische Verankerung von unternehmerischem Denken und Handeln in der beruflichen Grundbildung.
Die Verankerung erfolgt durch das Lernprogramm myidea.ch. Finanziert wird das Pilotprojekt vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI. Im Anschluss an die Pilotphase soll die schweizweite Verbreitung erfolgen. Der UDH-Pilot am GBS St.Gallen wurde von Prof. Dr. Susan Müller und Jan Keim von der Berner Fachhochschule begleitet. Am GBS St.Gallen werden im März über 20 Lehrpersonen des Allgemeinbildenden Unterrichts geschult, um später die UDH-Modelle selber vermitteln zu können.
Mehr Infos über das Schweizerische Zentrum für Unternehmerisches Denken und Handeln gibt es hier.