Das Portrait – wenn Malen wie Singen und Tanzen ist
Seit 1975 unterrichtet Karl Fürer an der Schule für Gestaltung. Nicht wenige Kursteilnehmende fragen Fürer nach einem Rezept. Nach einem Trick, um besser zeichnen und malen zu können. Er entgegnet: «Das gibt es nicht. Portraitieren hat vor allem mit Neugier, Interesse, Üben und Wiederholung zu tun und ist weitgehend auch Willenssache.»
Malen und Zeichnen sind für Karl Fürer Werkzeuge, um in der Welt unterwegs zu sein, seine Sinne zu verfeinern, Wacher zu werden. Um sich mit ihr auseinanderzusetzen und über sich selbst nachzudenken. Er hat sein Leben als freischaffender Künstler und als Lehrer an der Schule für Gestaltung der Malerei gewidmet. Seine Malereien bezeichnet er als Lieder und Tänze: «Bilder sind für einen Moment erstarrte Musik» Während seiner Jugend haben ihn bereits die Klänge eines Pianos im Untergeschoss seines Arbeitsortes inspiriert. Fürer malte und philosophierte zeitgleich im Atelier, das ein Stockwerk darüber eingerichtet war.
Diese Erfahrung mit dem Pianisten im Ohr war für ihn die Ausgangssituation, um sich erfolgreich um eine Aufnahme in der damaligen Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten zu bewerben. Um sich überhaupt Gehör zu verschaffen, musste Fürer zu Beginn der 1970er Jahre gemeinsam mit Künstlerkollegen eine eigene Ausstellung in einer Olma-Halle organisieren. Im Jahr 1973 erhielt er den Aufmunterungspreis der Stadt St.Gallen für sein gestalterisch, künstlerisches Arbeiten.
Während insgesamt 50 Jahren war Fürer als freischaffender Gestalter mit künstlerischen Arbeiten, Kunst am Bau, Ausstellungen und als Kursleiter tätig. Zu seinem 70. Geburtstag schuf ihm die Stadt dann im Architekturforum Ostschweiz eine Plattform – eine schöne Anerkennung für sein künstlerisches Handwerk in all den Jahren.
Heute blickt Fürer auf knapp 40 Einzelausstellungen, um die 30 Gruppenausstellungen und auf mehrere «Kunst am Bau»-Projekte zurück. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind unter anderem die Klang- und Tanzbilder im Kantonsspital St.Gallen. Seine bislang letzte Ausstellung fand im Februar 2022 in seinem Heimatort Wil statt.
Kein Dozent, ein Begleiter
Der unvollständig skizzierte Werdegang zeigt, welches Glück die Schule für Gestaltung mit dem renommierten Ostschweizer Künstler hat. 1975 wurde Karl Fürer für einen Lehrauftrag empfohlen. «Ich weiss selbst nicht mehr, was mich damals zur Zusage bewog. Ich bin eher zurückhaltend», erinnert sich Fürer. Rasch spürte er, dass er am richtigen Ort angekommen war. Die Auseinandersetzung mit den Schülern*innen beflügelte auch seine eigenen Arbeiten. Fürer erklärt: «Ich war und bin kein Lehrer der doziert. Ich treibe das Lernen in Arbeitsprozessen gemeinsam mit meinen Kursteilnehmern*innen voran.»
Heute Unterrichtet Karl Fürer den öffentlichen Kurs «Portrait – Zeichnen und Malen». Es geht darum, sowohl das Auge als auch die Hand zu trainieren. Fürer sagt: «Die Hand zeichnet das, was das Auge sieht. Wie bei einem Klavierspieler trainierst du immer wieder, damit das Auge die Proportionen, Licht und Schatten nicht nur detailliert wahrnimmt, sondern sie auch vom beobachtenden Auge in die Hand überträgt. Dieser Prozess braucht vertiefende Wiederholung.»
Der gelernte Gestalter zieht Musikinstrumente als Vergleich herbei. Um ein Musikstück auf einer Gitarre, einem Klavier oder einer Flöte zu beherrschen, müsse man es spielen, spielen und nochmals spielen. «Mit der Zeit wird der Ablauf natürlich. Dann kann man mutiger werden und an seiner eigenen Interpretation arbeiten. Seine eigene Betonung respektive Gestaltung einfliessen lassen.»
Das Wort Eigenart
Fürer arbeitet im Kurs «Portrait – Zeichnen und Malen» mit mehreren Modellen. Abwechslung ist interessanter und lehrreicher. Es geht auch darum, möglichst vielen verschiedenen Modellen zu begegnen. Zudem vermittelt er verschiedene Techniken mit Blei- und Farbstift, Kugelschreiber, Rohrfeder und Federer. Die Hälfte des Semesters arbeitet man mit den Zeichnungstechniken, die zweite Hälfte wird gemalt – so auch mit Kohle und Pastellkreide. «Die wichtigsten Techniken werden eingeübt. Die Teilnehmenden erhalten Anregungen und können diese entweder gerne zu Hause vertiefen oder einen weiteren Kurs besuchen.»
Wenn Karl Fürer über die Techniken spricht, nimmt er die Musik erneut als Beispiel. Ein Musikstück verändert sich je nach Instrument. «Das ist der Reiz, denn jede Technik hat ihre eigene Art und bietet Interpretationsmöglichkeiten.» Das Wort Eigenart verrät es… Dem St.Galler Künstler und Kursleiter geht es darum, dass sich die Kursteilnehmenden mit ihrer eigenen, persönlichen Möglichkeit ausdrücken. Obwohl alle dasselbe Modell mit einem Bleistift portraitieren, gleicht sich keines der Endergebnisse und gerade das ist gut und spannend so.
Wenn aus Unvermögen Vermögen wird
Zu Beginn des Kurses resultieren diese Abweichungen noch durch das individuelle Unvermögen. «Wer sein Unvermögen jedoch pflegt, verwandelt es in ein Vermögen.» Karl Fürer betont, dass Perfektion zwar schön und spannend sei. Das Unperfekte sei ebenso ein Ausdruck und habe häufig einen noch stärkeren Reiz.
Wie das Portrait am Ende aussehen wird, weiss auch Karl Fürer nie. Er beschreibt die Auseinandersetzung mit dem Modell als abenteuerliche Reise. Schauen, vergleichen, messen, Freude am Spielen und realisieren. «Es ist wie bei einer Wanderung auf der ich verschiedene Orte und Aussichten antreffe», sagt er und führt aus: «Ich betrachte die Berge, einige Kilometer weiter laufe ich durch einen Wald, dann sehe ich Enziane oder einen See.» Auch eine Zeichnung oder Malerei hat immer wieder verschiedene Entwicklungsstadien. All diese verschiedenen Stationen sind Stationen auf dem Weg zum Portrait der Persönlichkeit und ihrem Ausdruck. Am Ende steht vielleicht das Aha-Erlebnis: «Jetzt bin ich dieser Person nahegekommen.»