Dieses Schriftbild entsteht trotz Stromausfall
Die Lehrpersonen am GBS St.Gallen pflegen ihr Netzwerk und suchen sich immer wieder neue Inspirationsquellen. Roland Stieger hat kürzlich ein Typosymposium in Österreich besucht, wovon die Teilnehmenden des Lehrgangs HF Visuelle Gestaltung profitieren. Während für japanische Kalligraphie keine Kraft aus dem Handgelenk nötig war, ist für ein besonderes Schriftbild aus dem römischen Reich viel Geduld erforderlich.
Eine Konferenz im Rittersaal einer Burg – geht es noch idyllischer? Die Veranstaltung der Typographischen Gesellschaft Austria (TGA) gilt als internationale Austauschplattform fernab von Geschäft und Lohnarbeit. Internationale und lokale Vortragende sprachen auch dieses Mal über Schrift und Schriftentwicklung. Im Fokus standen technische, gestalterische und gesellschaftspolitische Aspekte. Auch Roland Stieger, Lehrgangsleiter HF Visuelle Gestaltung nahm sich vier Tage Zeit für Vorträge, Workshops und Gespräche.
«Ein magisch schöner Ort», schwärmt Stieger und zeigt das Bild der Burg von Raabs am Fluss Thaya. Raabs liegt an der tschechischen Grenze und etwas mehr als 100 Kilometer von Wien entfernt. «Die Atmosphäre dieser Konferenz ist wunderbar. Ich lasse mich hier einerseits für den Unterricht inspirieren, andererseits halte ich nach spannenden Referenten/innen für die nächste Tÿpo St.Gallen 2023 Ausschau.»
Die TGA gestaltete das Programm ausschliesslich mit Referentinnen. Bleibend in Erinnerung geblieben ist Roland Stieger der Vortrag von Lida Lopez Cardozo Kindersley. Sie machte beste Werbung für originelle Schriftbilder, die in Stein gemeisselt sind. «Sie verwies auf die mögliche Energieknappheit diesen Winter, die zu einem Ausfall von sämtlichen Computergrafikprogrammen führen kann», berichtet Stieger und ergänzt: «Ihr Team aber benötigt keinen Strom und kann die Innschriften an Gebäuden oder Grabsteinen auch bei Kerzenlicht anbringen.»
Mitarbeitende von Lida Lopez Cardozo Kindersley führten das über 2000 Jahre alte Handwerk vor Ort sogleich vor. Pro Buchstabe wird mit einem Zeitaufwand von einer Stunde gerechnet. «In unserer heutigen, schnelllebigen Zeit ist dieses uralte Handwerk ein wohltuender Kontrast», sagt Stieger.
Das Typosymposium in Raabs gibt es seit mehr als 20 Jahren. Die Kontakte zur TGA durfte Roland Stieger auch dank seiner Freundschaft zu Typographie-Koryphäe Jost Hochuli knüpfen und pflegen. Der ehemalige Dozent an der Schule für Gestaltung gibt auch mit fast 90 Jahren noch Buchgestaltungsworkshops in Wien. «Die Österreicher tragen ihn auf Händen», sagt Stieger. Er selbst hat mit Hochuli eine Schrift gestaltet, deren Geschichte und Designprozess in folgendem Dokumentarfilm festgehalten wurde:
Roland Stieger hat die Tage in Österreich auch dafür genutzt, um sich mit japanischer Kalligraphie auseinanderzusetzen. Dabei wird der Ellbogen nicht abgestützt. Die Schreibbewegungen mit dem Pinsel geschehen in der Luft. «Man bewegt den Pinsel sozusagen aus dem Körper heraus statt dem Handgelenk. Es war eine tolle Herausforderung, in diesem Workshop ums Eck zu denken», so Stieger.
Etwas fürs Auge war der Auftritt der Griechin Irene Vlachou. Sie zeigte anhand des Buchstabens Theta die Formenvielfalt im griechischen Alphabet auf. Ihre Studierenden haben den Mittelstrich unterschiedlich interpretiert. Es ist diese inspirierende Selbstständigkeit und die Freiheit, etwas wagen zu können, die Roland Stieger in den Unterricht an der Schule für Gestaltung mitnimmt.