Reflektion ist motivierend und bereichernd

Welche Auswirkungen hat der Fernunterricht auf den künstlerisch-gestalterischen Bereich?
Christine Aebi unterrichtet die Jugendlichen des Gestalterischen Vorkurses an der Schule für Gestaltung St.Gallen und hat sich unseren Fragen gestellt (die Skizze hat Christine Aebi während einer Teams-Teamsitzung gemacht – also auch ein Viertel Selbstporträt, wenn man so will, sie selbst ist unten rechts abgebildet):
Wie hat sich der Fernunterricht von Mitte Mai zu Ende April verändert?
Nach einer Phase der Unsicherheit – zum Glück war sie nur von kurzer Dauer – sind die Dinge fassbarer und leichter geworden. Ich bin nun vertrauter mit den digitalen Kommunikationskanälen, die wir im Lehrgang im Eiltempo installiert haben. Ich kann besser einschätzen, welche Aufträge unter den neuen Bedingungen Sinn machen und wo die Grenzen der digitalen Kommunikation liegen.
Auf den Unterricht vor Ort zu verzichten, war für mich eine grosse Umstellung. Die klassischen Lehr- und Lernprozesse schienen wie ausser Kraft gesetzt, eine Neuorientierung war notwendig.
Anfangs habe ich verglichen, was alles möglich wäre, wenn wir im Zeichensaal miteinander arbeiten und uns direkt austauschen könnten. Doch solche Gedanken waren wenig hilfreich.
Es galt, den Gegebenheiten dieser aussergewöhnlichen Zeit Rechnung zu tragen und sich auf das von aussen veränderte Setting einzustellen. In den neuen Erfahrungen steckt eben auch viel Lernpotenzial. Mir ist noch deutlicher bewusst geworden, welche Anliegen und Werte für den Präsenzunterricht für mich von Bedeutung sind, gerade weil er zurzeit in anderer Form stattfindet.
Im 1. Semester unseres Lehrganges habe ich Lernbeziehungen zu den Schüler*innen aufgebaut. Bunt zusammengewürfelte Klassen haben sich zu arbeitsfähigen Gruppen entwickelt. Auch wenn der in Gang gesetzte Prozess jäh unterbrochen wurde, hatte sich eine Unterrichtskultur etabliert, auf der ich aufbauen konnte.
Anfänglich sahen sich alle Beteiligten gezwungen, ins kalte Wasser zu springen. Wir sind jedoch zu guten Schwimmer*innen geworden.
Alles in allem bin ich positiv überrascht, wie schnell wir die ungewöhnlichen Herausforderungen gemeistert haben. Den Schüler*innen möchte ich ein Kränzchen winden, denn ich konnte auf ihre Kooperation zählen. Ich hoffe, dass ich den Schüler*innen ein Stück weit Orientierung geben konnte und sie trotz Einschränkungen Neues dazugelernt haben.

Welches sind die Herausforderungen beim Fernunterricht?
«Unterricht», oder das, was davon übriggeblieben ist, ist noch arbeitsintensiver geworden.
Ich richte mein Augenmerk darauf, wie ich mit den Schüler*innen in Kontakt bleiben kann. Allerdings ist eine gut funktionierende Kommunikation nicht von mir allein abhängig, beide Seiten müssen sich darum bemühen. Dies ist zum Glück der Fall und deshalb entlastend für mich. Die Videokonferenzen sind eine praktikable Alternative zu Mail und Telefon. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob mein Input von allen verstanden wird. Daher nimmt das bilaterale Gespräch einen zentralen Platz ein, im direkten Kontakt lassen sich die Dinge besser (er-)klären als mittels einer Botschaft, die sich an die ganze Klasse richtet.
Der Unterricht mit der Klasse ist zurzeit lehrpersonenzentriert und weniger interaktionell, ein tiefer gehender Austausch via Bildschirm nur in reduzierter Form möglich. Fachliche Anliegen sind deshalb in den Vordergrund gerückt. Normalerweise wird das Geschehen in meinem Unterricht wesentlich durch prozessorientiertes Arbeiten bestimmt, ausserdem spielt der soziale Aspekt eine wichtige Rolle. Das Fehlen dieser grundlegenden Elemente betrachte ich als Mangel.
Anspruchsvoll ist, aus Distanz mit den SuS neues Terrain zu erkunden. Vertrauen in die Lernbeziehung zur Lehrperson und in die Gruppe ist notwendig, um eigene Muster zu erkennen und freier im zeichnerischen Ausdruck zu werden. Für mich stellt sich die Frage, wie produktives und lebendiges Lernen via Kommunikation über den Bildschirm in Gang gesetzt werden kann.
Gibt es auch Positives, das der Fernunterricht mit sich bringt?
Dank der Unterstützung von Kolleg*innen und Eigeninitiative – learning by doing – habe ich meine digitalen Kompetenzen erweitern können. Ich bin froh um die neuen Fertigkeiten, die ich mir im Umgang mit den digitalen Kommunikationskanälen angeeignet habe. Vieles ist selbstverständlich geworden.
Nach dem Lockdown habe ich angefangen, eng mit meiner Kollegin zusammenzuarbeiten, die ebenfalls das Fach Zeichnen im Vorkurs unterrichtet. Gemeinsam entwickeln wir Unterrichtseinheiten und reflektieren unsere Erfahrungen, was ich als motivierend und bereichernd erlebe. Die unfreiwillige Isolation wurde durchbrochen. Wir haben uns vorgenommen, diese Form der gemeinsamen Unterrichtsplanung und -nachbearbeitung auch in Zukunft zu pflegen.
Im Unterricht haben sich über all die Jahre bestimmte Themen und Aufgaben ergeben, die sich bewährt haben. Für das Distance-Teaching müssen mit Blick auf die Unterrichtsziele neue Konzepte entwickelt werden. Dabei stellt sich immer die Frage, wie der besondere Arbeitsalltag der Schüler*innen und die besondere gesellschaftliche Situation in die Arbeit einbezogen werden können. Mich dieser Aufgabe zu stellen, finde ich wichtig und reizvoll.
Die Kommunikation über Teams ermöglicht mir, enger am Unterricht meiner Kolleg*innen teilzuhaben. Täglich sehe ich mir die (inspirierenden) Aufgabenstellungen an, ebenso die beeindruckenden Lösungen der Schüler*innen auf unserer Webseite. Diese Möglichkeit schätze ich sehr. Ich bin erstaunt, wie verbindend diese beiden Tools auf uns alle wirken.
Welches Feedback erhältst du von den Schülern?
Grundsätzliches gilt: Die Feedback-Kultur ist fester Bestandteil meines Unterrichts. Mündliche und schriftliche Rückmeldungen helfen, Lernfortschritte bzw. -blockaden zu erkennen und daraus Schlüsse zu ziehen für den weiteren Lernweg.
Dieser Austausch mit und unter den Schüler*innen während dem Arbeitsprozess ist im Fernunterricht nur beschränkt herstellbar. Das ist aus meiner Sicht ein grosser Verlust. Meine Erfahrungen mit Halbgruppen-Chats haben jedoch gezeigt, dass es in bescheidenem Masse möglich ist, Rückmeldungen einzuholen und Arbeiten gemeinsam zu besprechen.
Zu den abgegebenen Arbeiten verfassen die Schüler*innen einen kurzen Text, ein schriftliches Fazit. Auf diese Weise erhalte ich Einblick in das Tageswerk sowie in den Arbeitsprozess. Die Selbstreflexion bleibt jedoch auf einer individuellen Ebene angesiedelt, sie kann nicht mit der ganzen Gruppe geteilt werden.
Wenn die Schule wieder geöffnet wird, möchte ich gemeinsam mit den SuS zurückblicken auf die Zeit des Distance-Learnings. Ich bin überzeugt, dass wir diese neuen Lernerfahrungen in der Gruppe gewinnbringend reflektieren können.
Auf was freust du dich am meisten, sobald die Schule wieder geöffnet hat?
Mit den Klassen wieder vor Ort arbeiten zu können. Ein Thema mit zeichnerischen Mitteln auszuloten und eine gemeinsame Vorwärtsenergie entstehen zu lassen – hoffentlich ist dies bald wieder möglich.