Albanien interessiert sich für die Schweizer Erfolgsformel
Warum ist das Schweizer Berufsbildungssystem ein Erfolg? Eine Antwort aus erster Hand erhielt eine Delegation aus Albanien. Lernende des GBS St.Gallen informierten über ihren Berufsalltag.
Dass eine Berufslehre aus den drei Pfeilern Lehrbetrieb, Berufsschule und ÜK besteht, ist für Schweizer/-innen selbstverständlich. Aus einem anderen Blickfeld betrachten die albanischen Schul- und Universitätsmitglieder sowie Direktoren/-innen das ihnen weitgehend unbekannte Schweizer Grundbildungssystem. Wie wählt zum Beispiel ein Lehrbetrieb seine Lernenden aus? «Wir schreiben unsere Ausbildungsplätze auf den Lehrstellenportalen aus», erklärt Hannes Kundert in der Werkstatt der Elektro Kundert AG in St.Gallen. Er ergänzt: «Die Interessenten/-innen sind noch Minderjährig und entscheiden sich bereits in der Oberstufe früh für einen Berufsweg – die Eltern spielen dabei eine wichtige Rolle.»
Während der Fokus im Betrieb auf der Praxis und der Routine liegt, wird am GBS St.Gallen das theoretische Berufswissen vermittelt. Lehrperson Marcel Mittelholzer schilderte, wie das in den Klassenzimmern vonstattengeht. Und wozu dienen die ÜKs? Ein Besuch im Swissmechanic Ausbildungszentrum schaffte Klarheit. «Hier lernen wir zu verdrahten, zu bohren und zu programmieren», erzählte der angehende Automatiker Suhejb den Gästen auf Albanisch, wie in den Räumlichkeiten des Zentrums für berufliche Weiterbildung ZbW berufsspezifische Fertigkeiten vertieft werden.
Die Besucher/-innen aus Tirana sind dankbar für den eintägigen Einblick. «Das Programm war eindrücklich. Für uns ist alles Neu», sagt Erika Boshnjaku. Die stellvertretende Leiterin des Projekts «Skills for Job» fügt an: «Das Zusammenspiel zwischen Ausbildungsbetrieb, Berufsschule und Überbetrieblichem Kurs ist wertvoll und führt zu einer professionellen Ausbildung.»
Wie die Schweiz Albanien unterstützt
Der Besuch der Delegation aus Albanien kam aufgrund des Projekts «Skills for Job» zustande. Umgesetzt wird dieses Projekt durch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, die dafür auch auf die Expertise der Universität St.Gallen zählt. Fation Dragoshi ist Projektleiter von «Skills for Job» und verweist auf die stark theoretische Berufsausbildung in Albanien. Noch gibt es zu wenig Unternehmen, welche die Jugendlichen ausbilden und dadurch die Berufspraxis fördern. «Ich wünsche mir, dass die Einstiegshürden für Firmen in Albanien niedrig gehalten werden. In der Schweiz gibt es zwar die Bildungspläne, aber die Firmen sind flexibel darin, wie sie diese Ziele mit ihren Lernenden erreichen. Das System basiert auf Vertrauen», sagt Fation Dragoshi.
Die Schweiz unterstützt Albanien dabei, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Demokratisierung sowie die europäische Integration weiter voranzutreiben. Im DEZA-Projekt «Skills for Job» geht es konkret darum, die albanische Regierung dabei zu helfen, das Berufsbildungssystem zu reformieren. Daniel Kehl, Rektor des GBS St.Gallen, zeigte der Delegation die Durchlässigkeit des dualen Bildungssystems hierzulande auf. Nach der Berufslehre stehen die Türen für eine Weiterbildung offen. Für Daniel Kehl steht ausser Frage, dass ein solcher internationaler Austausch fruchtet. Innovationskompetenz in der Berufsbildung hänge mit dem internationalen Netzwerk zusammen – auf struktureller, kultureller und strategischer Ebene.
Ein Beruf von Grund auf erlernen
Was sind denn nun die Vorteile einer Berufslehre? Hannes Kundert beschäftigt in seinem eigenen Elektrounternehmen mittlerweile 20 Mitarbeitende, davon sechs Lernende. Diese erlernen den Beruf Elektroniker/-in EFZ von Grund auf. «Sie wissen, wie sie Kabel ziehen und Rohre installieren. Und im Betrieb geben wir ihnen sofort Rückmeldung, wenn sie einen Auftrag gut gemeistert haben oder noch besser erfüllen können», sagt Hannes Kundert. Angesprochen auf die Herausforderungen, sagt er, dass nicht alle Lernenden über dasselbe Niveau verfügen. Eine von Fall zu Fall individualisierte Betreuung durch die drei Berufsbildner/-innen sei notwendig. «Besonders wichtig ist uns, dass die Lernenden die Arbeit selber sehen», erklärt Hannes Kundert.
Der Ausbildungsbetrieb fördert die Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz der Lernenden nicht alleine. Die Berufsschule und das ÜK-Programm unterstützen ihn dabei. Das Schöne ist, dass die Jugendlichen selbst motiviert sind, im Berufsleben durchzustarten. Die beiden Automatiker im zweiten Ausbildungsjahr Arbin und Suhejb erfreuen sich jeweils am Resultat ihrer Arbeit. «Es ist ein toller Moment, wenn du die Maschine anwirfst und alles funktioniert. Ich hauche der Maschine leben ein», sagt Arbin.
Begeistert von der Vielseitigkeit
Automatiker/-innen bauen elektrische Steuerungen, Apparate, Maschinen oder Automatisierungssysteme. Sie nehmen diese in Betrieb, führen Reparaturen aus und erstellen technische Dokumente. «Unser Beruf ist enorm vielseitig. Er verlangt mechanisches Handwerk und Programmierkenntnisse», schwärmt Arbin.
Diese Vielseitigkeit sahen die Gäste aus Albanien anhand einer ÜK-Übung. Vor zwei Jahren wurden die Aufgaben noch an einem Qualifikationsverfahren gestellt, jetzt dienen sie als Übungszwecke. Erika Boshnjaku staunte: «Alles ist sehr detailliert: Die Aufgabenstellung, die Punktevergabe und das Bewertungsraster. Mir gefällt auch, wie das ÜK-Schulungszimmer einerseits Klassenzimmer ist und andererseits über praktische Arbeitsplätze verfügt.» Die albanische Delegation erhielt diesen spezifischen und insgesamt ausreichend Belege dafür, wie viele Details das Schweizer Bildungssystem zur Erfolgsformel machen.