Wenn die Tour de Suisse in Mexico City hält
Im geplanten Neubau am GBS St.Gallen entstehen neue Räume, die neue Lehr- und Lernformen unterstützen. Sie werden auch dem Wunsch der Lernenden nach zeit- und ortsunabhängigem Lernen gerecht. Bereits heute werden am GBS St.Gallen moderne Unterrichtsformen getestet, übernommen und weiterentwickelt. Davon konnten sich die Teilnehmenden der Veranstaltungsreihe Tour de Suisse Blended Learning überzeugen.
Ja, sie wollen und können Blended Learning. Diesen Eindruck erhielten die aus der ganzen Deutschschweiz angereisten Schulleiter/-innen und Lehrpersonen als sie vier Automatik-Lernenden zuhörten. «Ich komme selber vorwärts und muss nicht darauf schauen, wie weit die Klasse ist. Es ist eine Art Selbststudium», erklärt Erjon. Und alleine gelassen, werden die Lernenden zu keinem Zeitpunkt. Melvin sagt: «Wir können uns jederzeit bei den Lehrpersonen melden oder unter uns Lernenden eine Gruppe bilden und die Aufgabe gemeinsam besprechen.»
Durch die Podiumsdiskussion mit den Automatik-Lernenden, deren Mathematik-Unterricht momentan als Blended Learning stattfindet, führte Marcel Weber. Der Leiter PICTS+ am GBS St.Gallen wollte auch wissen, wie sie mit dem Lernmanagementsystem Moodle klarkommen. Während Lillian das hilfreiche Filmmaterial zur Theorie lobt, nennt Erik den Korrekturmodus als Mehrwert. «Wenn ich eine Aufgabe auf Moodle löse, sehe ich nicht nur, ob das Ergebnis richtig ist. Mir wird auch der beste Lösungsweg angezeigt», erklärt Erik. Dadurch könne er sich trotz korrektem Resultat weiter verbessern.
Tausende Fragen zu Beginn
Solche Praxisbeispiele wurden auch an den Mini-Workshops mit den GBS-Lehrpersonen genannt, die passenderweise in den modernen Lernräumen der Schule für Gestaltung St.Gallen stattfanden. In der Arena berichtete Jan Sahner darüber, wie die neue BM2-flex gestartet ist. An den sogenannten Marktständen zeigte Heiner Gabele auf, wie in den Räumlichkeiten der Baukaderschule St.Gallen derzeit ein offenes Raumkonzept umgesetzt wird. Im gläsernen Raum mit dem Namen Aquarium informierten Sandro Kappeler und Jasmin Fässler über den flexiblen Mathematik-Unterricht für die MEM-Berufen.
Über Blended Learning in der Berufskunde und im Allgemeinbildenden Unterricht sprachen Karin Schwarz in der Agentur und Mario della Costanza in der Aula. «Wir hatten während der Ausarbeitung der Lernpfade tausende Fragen gehabt», gestand Karin Schwarz. Eine lautete zum Beispiel, wann Lernende reif für selbstorganisiertes Lernen seien.
Bei den Berufen Grafiker/-in, Interactive Media Designer/-in und Polygrafen/-innen haben sich die Projektbeteiligten anhand der Kompetenzen orientiert. «Wir haben neue Module geschaffen, in denen die Lernenden für eine längere Zeit an Projekten arbeiten können», so Karin Schwarz. Sie lobt explizit die Zusammenarbeit mit den involvierten Personen. Zusammen habe man es geschafft, moderne Unterrichtsformen anzubieten.
Blended Learning in verschiedenen Etappen
Solche Erfahrungen sind es, die die Tour de Suisse zu Blended Learning ausmacht. Die Schulleitung und die Lehrpersonen geben vor Ort einen Einblick in die Strategien und Umsetzung von Blended Learning an ihrer Schule. Die Tour de Suisse wird von der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) und der Table Ronde Berufsbildender Schulen (TR BS) organisiert und begleitet. «Blended Learning gibt man nicht Top-down vor. Es wird in der Praxis umgesetzt und findet dort schon statt – in ganz verschiedenen Facetten», begrüsste Rolf Häner, Präsident der Schweizerischen Direktorinnen- und Direktorenkonferenz der Berufsfachschulen SDK-CSD und Delegierter TR BS.
Am achten Etappenort, dem GBS St.Gallen, setzten sich die Teilnehmenden sinngemäss gleich selbst aufs Velo. Der LED-Tunnel der Schule der Gestaltung St.Gallen wurde so bespielt, dass er Ausschnitte von der diesjährigen Tour de Suisse der Männer und Frauen zeigte. Und Rektor Daniel Kehl stieg mit der Frage ein: «Welche Stadt wäre deine Schule, wenn sie ein Etappenhalt wäre und die Tour de Suisse weltweit unterwegs wäre?» Das GBS St.Gallen hat die Antwort für sich bereits gefunden: Meciko City.
Verschiedene Kulturen, wie in Mexico City
Daniel Kehl erklärt: «Meciko City hat eine traditionsreiche Geschichte. Zudem sind nicht alle Gassen bekannt. Die Quartiere haben ihre eigenen Kulturen.» Er spielt damit auf die zehn verschiedenen Standorte des GBS St.Gallen an. Auf ihnen sind über 600 Lehrpersonen, Dozierende sowie Mitarbeitende verteilt. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist die Strategie, das aktuelle Schulprogramm. Seit 2019 wird das pädagogische 4K-Modell gelebt.
Im Verlaufe der Zeit wurden die 4Ks (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, Kritik) sichtbar und erlebbar gemacht. «Zusammen mit den Möglichkeiten, die uns die IT-Bildungsoffensive des Kantons St.Gallen bietet, dient uns dieses Modell als hervorragende Grundlage für das, was wir mit Blended Learning vorhaben», so Daniel Kehl.
Die Vorteile von Blended Learning
Als verantwortlicher Stadtdirektor von Mexico City gab Daniel Kehl einen weiteren Denkanstoss: «Jetzt möchten wir den Strassenverkehr neu regeln und auf sämtliche Verkehrsschilder verzichten. Ausserdem soll der Verkehr von Rechts- auf Linksverkehr umgestellt werden.» Etwa so fühlt es sich an, wenn der Pfad weg vom Lehrer zentrierten Unterricht hin zum Lernenden zentrierten Unterricht führt. Das GBS St.Gallen sieht und spürt folgende Vorteile im Blended Learning:
- Flexibilisierung und Individualisierung bezüglich Lernort, Lernzeit, Lerntempo, Lernzielen oder Lerninhalten.
- Förderung des selbstorganisierten und/oder kollaborativen Lernens im Sinne der Erweiterung der Lernstrategien.
- Förderung des adaptiven und/oder personalisierten Lernens.
- Steigerung des Autonomie- und Kompetenzerlebnisses.
- Förderung der technologischen und digitalen Anwendungskompetenzen.
- Reduktion Anteil Erwerb von Grundlagenwissen zugunsten Anteil an Wissenstransfer und Kompetenzerwerb.
Daniel Kehl gibt zu verstehen, dass es nicht genüge, wenn diese Vorteile nur die Stadtregierung und die Bildungswissenschaftler von Mexico City überzeugen. «Drei Schlagwörter helfen, damit auch der Rest mitzieht: Good practice, Verbindlichkeit und Sinnhaftigkeit», so der Rektor des GBS St.Gallen.
Ab ins Metaverse?
Rolf Häner pflichtet ihm bei und bedankte sich für einen «sehr eindrücklichen Einblick». Die Erkenntnis des Präsidenten SDK-CSD: «Es braucht Menschen, die diese Begeisterung für die neuen Unterrichtsformen mit Blended Learning transportieren. Heute haben wir gesehen, dass wir in der Berufsbildung Lernende, Lehrpersonen und Rektoren haben, die diese Begeisterung im Herzen tragen.»
Und weil man in der heutigen vernetzten Welt auch von den Berufskollegen/-innen im Ausland inspiriert werden kann, verwies Daniel Kehl zum Abschluss auf das Projekt «Teaching and learning in the Metaverse». Die erste virtuelle europäische Berufsfachschule geht online. Das neue Lehren und Lernen wird vorzu weitergedacht…