Innovation durch Bildung: Die albanische Wirtschaftsministerin am GBS St.Gallen
Hochrangiger Besuch während den Frühlingsferien: Die albanische Finanz- und Wirtschaftsministerin Olta Manjani hat sich mit einer Delegation am GBS St.Gallen über das Schweizer Berufsbildungssystem informiert. «Wir wollen von den Besten lernen und sammeln hier Erfahrungen», erklärt Olta Manjani. Sie wurde nicht enttäuscht.
Zwei Tage genügten Olta Manjani um festzustellen: «Die duale Berufsbildung ist fantastisch.» Sie habe erfahren, dass das Berufsbildungssystem in der Schweiz seit dem 19. Jahrhundert existiert. Auf eine solche Tradition könne Albanien nicht zurückblicken. Um künftig eine praxisnahe Ausbildung für Arbeitskräfte anbieten zu können, dient die Schweiz als Vorbild.
Einen Einblick in den Schweizer Berufswahlprozess erhielten die Gäste aus dem Balkan bereits am ersten Tag ihres Aufenthalts in der Ostschweiz von Dieter Euler, emeritierter Direktor des Instituts für Wirtschaftspädagogik an der Universität St.Gallen. Am GBS St.Gallen doppelte Rektor Daniel Kehl nach: «Unser System ermöglicht viele Karrierewege. Es garantiert qualifizierte Mitarbeitende und eine tiefe Jugendarbeitslosigkeit.»
Die Impulse aus der Wirtschaft
Daniel Kehl machte den Gästen unter anderem deutlich, wie wertvoll die 350 Lehrpersonen der Grundbildung am GBS St.Gallen sind. Zusammen bestreiten sie jährlich über 178'000 Lektionen. «Unsere Berufskundelehrpersonen sind mehrheitlich immer noch in ihrem Beruf tätig und verankert. Dieser enge Bezug zur Wirtschaft macht den Unterricht glaubwürdig und bringt den Berufsalltag ins Klassenzimmer», sagt Daniel Kehl. Dass 60 Prozent der Lehrkräfte am GBS St.Gallen Teilzeit arbeiten, überraschte Olta Manjani. So entstanden spannende Diskussionen über Beschäftigung, Akquise sowie Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen in den beiden Ländern.
Daniel Kehl sprach an, dass es vielerlei Rahmenbedingungen bedarf, damit eine Berufsfachschule funktioniert. Während des Besuchs der albanischen Delegation wurde etwa über die Entwicklung von Bildungsverordnungen und die Rolle der Lehrbetriebe im dualen Berufsbildungssystem gesprochen.
Die Arbeits- und Schulwoche der Lernenden
Von jetzt an standen die Lernenden im Mittelpunkt. Einen Einblick in ihren Berufsalltag gaben Polygrafin Michelle Aggeler (Helvetikett AG), Informatiker Finn de Pauw Gerlings (iTrain GmbH) sowie die Elektroniker Vincent Lewinski und Justin Eugster (beide libs Industrielle Berufslehren Schweiz). Sie präsentierten der albanischen Delegation ihre Unterrichtsfächer und Beispielarbeiten aus Berufsfachschule und Betrieb.
Die Berufsbezeichnung Polygraf/-in EFZ war den Gästen nicht geläufig. Als Michelle Aggeler mit 14 Jahren den passenden Beruf für sich suchte, ging es ihr gleich. Über ihren Berufswahlprozess sagt sie: «Ich habe zuerst das Berufsvorbereitungsjahr besucht und dann an einer Berufsmesse den Beruf kennengelernt. Nach einer Schnupperlehre habe ich mich für die Lehrstelle beworben.»
Zu Besuch bei Starrage Group und Libs
Reinschnuppern durften am Nachmittag auch die albanischen Gäste. Auf dem Programm stand ein Besuch bei der Starrag Group in Rorschacherberg. Der Hersteller von Präzisions-Werkzeugmaschinen zum Fräsen, Schleifen und Bohren von Werkstücken aus Metall, Keramik und Verbundwerkstoffen bildet ebenfalls Lernende aus.
Es folgte ein Aufenthalt bei Libs, ein Nonprofit-Ausbildungsunternehmen in der schweizerischen Elektro-, Metall-, und Maschinenindustrie. Libs ist mit rund 1100 Berufslernenden der landesweit grösste Ausbildungsverbund der MEM-Industrie.
Olta Manjani stellte erleichtert fest: «Ich dachte bis anhin, es sei eine Hürde, dass 95 Prozent der Unternehmen in Albanien zu den kleineren und mittleren gehören. Es ist gut zu wissen, dass das kein Problem ist.»
Die politischen Entscheidungsträger/-innen überzeugen
Zuletzt durfte das GBS St.Gallen vor rund einem Jahr eine albanische Delegation bei sich empfangen, die sich über die drei Pfeiler einer Berufslehre informierte: Lehrbetrieb, Berufsfachschule und ÜK. Sowohl damals als auch heute initiierte Fation Dragoshi von Swisscontact den Besuch.
Er sagt: «Ich will unseren Entscheidungsträger/-innen das Schweizer Bildungssystem näher bringen. Deshalb sind neben Olta Manjani auch die beiden Generaldirektoren der albanischen Agenturen für Berufsbildung und Beschäftigung nach St.Gallen gereist.» Der erste Schritt sei es, die Chancen einer modernen Berufsausbildung zu erkennen und diese anzustreben. «Anschliessend beschäftigt uns die Frage, wie wir Elemente des Schweizer Wegs übernehmen können.»
«Innovation by internationalisation»
Ein erfolgsversprechendes Modell des GBS St.Gallen wird bereits verfolgt: Ein ICT-Skills-Austauschprogramm zwischen St.Gallen und der Shkolla Profesionale Elbasan in der Nähe von Tirana dürfte schon bald von Movetia, die nationale Agentur zur Förderung von Austausch und Mobilität im Bildungssystem, genehmigt werden. Lernende und Lehrpersonen können wie an anderen GBS-Partnerschulen von einem wochenweisen Austausch profitieren. Rektor Daniel Kehl erklärt: «Innovation by internationalisation. In einem internationalen Netzwerk tauschen wir gegenseitig unsere Ideen aus und erweitern unseren Horizont. Das ist pures Unternehmertum.»
Die Aussagen von Daniel Kehl erhielten durch die Lernenden Michelle Aggeler und Vincent Lewinski zusätzliches Gewicht. Beide schwärmten von ihrer Teilnahme am «WinterSpring»-Projekt mit ausdrucksstarken Bildern aus Savognin und Rotterdam. Eine Teams-Schaltung nach Düsseldorf zu den Organisatoren des Makeathon, das Beratungsunternehmen ITQ, rundeten das stimmige Gesamtbild ab. Ob bald im fortschrittlichen Lernzentrum TUMO in Tirana ein Makeathon stattfindet und Lösungen für klimatische und technische Herausforderungen gefunden werden? «Innovation ist, wenn eine Idee lebendig wird», so Daniel Kehl vielsagend. Der Kontakt zur albanischen Wirtschaftsministerin Olta Manjani ist hergestellt.